OHRENBÄR-Redakteurin Sonja Kessen stellt vor: - "Dieser Sommer mit Jente" von Enne Koens
Wehmütig klingt der Titel – und Maries Geschichte ist es auch. Die knapp 11jährige Ich-Erzählerin blickt auf einen Sommer zurück, in dem ihr behütetes Leben plötzlich auf dem Kopf stand. Sie erzählt uns, wie es war, als sie mit ihren Eltern aus der Stadtwohnung ins eigene Haus weit weg in eine Neubausiedlung zog.
Gegen ihren Willen muss Marie Abschied nehmen vom gewohnten Zuhause und von ihrer besten Freundin Zoë. Trotzig begehrt sie auf und weiß noch nicht so recht, wie sie ihre innige Freundschaft zu Zoë über die Distanz hinweg in eine neue Form bringen kann. Als sie gleich am zweiten Tag in der neuen Umgebung auf Jente trifft, ist sie so befremdet wie fasziniert. Anders als Zoë sprüht Jente vor Mut, Abenteuerlust und Temperament – sofort können diese Eigenschaften aber umkippen in Wut, Grenzüberschreitung und Provokation.
Was macht man, wenn man gar keine Freundin mehr sein will?
Zunächst freut Marie sich, dass die beiden Mädchen mit der Kuhle in der Wiese einen Geheimplatz teilen, an dem sie Comics lesen und Süßigkeiten verstecken. Groß ist dann ihr Entsetzen, als sie herausfindet, dass Jente ihr Geheimnis leichtfertig den Nachbarjungen verrät, die die Comics zerfleddern und die Vorräte auffuttern. Ist das noch ein eher harmloser Vorfall, so treibt Jente es immer wilder bis hin zu echter Lebensgefahr: Motorrad fahren, Rohbauten hochklettern, über die verbotene Eisenbahnbrücke laufen ...
Resolut forciert Jente Konfliktsituationen. Marie kann dem wenig entgegensetzen. Sie läuft mit, sie lässt sich dominieren und anstiften. Im Inneren kämpft sie erst mit der Frage, ob sie überhaupt eine neue beste Freundin haben kann. Dann, ob Jente diese ist? Und schließlich: Was macht man eigentlich, wenn man gar keine Freundin mehr sein will?
Tiefgründig und eindrucksvoll
Autorin Enne Koens lotet Maries komplexe Entwicklung tiefgründig und eindrucksvoll aus. Sie komponiert ihre Geschichte in drei Teilen und 27 Kapiteln, abgesetzt durch kurz lyrische Reflexionen und mit zarten abstrakten Illustrationen von Maartje Kuipers akzentuiert. Spannend startet Koens mit einem Cliffhanger, mit dem sie am Ende des Buches den Kreis der Entwicklung schließt. Spannend auch, wie die äußeren Veränderungen die inneren, pubertären Umbrüche verschärfen. Typisch ist es, dass Marie die Eltern nicht mehr so leicht in sich hineinblicken lässt. Sie sorgen sich und können nur Hinweise geben. Am Ende der Sommerferien spüren sie und auch wir als Leser, dass Marie endlich wieder frei atmen kann. So sagt sie es und hat verstanden, dass es Freundschaften gibt, die einem einfach nicht guttun.