
OHRENBÄR-Redakteurin Sonja Kessen stellt vor: - "Felsenmond. Fünf Mädchen im Jemen"
Im "Lesestoff" vom rbb Kulturradio stellt OHRENBÄR-Redakteurin Sonja Kessen regelmäßig Kinder- und Jugendbücher vor. Heute: "Felsenmond. Fünf Mädchen im Jemen" von Jasmin Adam, für große Geschwister ab 12 Jahren.
Zauberhafte Landschaft mit harten Schicksalen
Ein Gedicht stimmt die Leser auf das ferne Land, den Jemen, ein. So zauberhaft-zeitlos hier der Mond die karge Felslandschaft bescheint, so unmittelbar und brutal zeigt sich gleich im ersten Kapitel die Realität: Latifa wird von ihrem Vater überrumpelt und muss gegen ihren Willen einen ihr bislang fremden Mann heiraten. Es heißt Abschied nehmen von der geliebten Mutter und dem Bergdorf. Für Latifa geht es in die Stadt einem unbekannten Leben entgegen. Ihre Freundin Aischa bleibt zurück, junge Witwe mit zwei Kleinkindern, von der Schwiegermutter tyrannisiert. In der Stadt leben Latifas Cousinen Sausan und Hanna. Auch wenn ihre Umgebung moderner wirkt, ist ihr Schicksal nicht leichter. Sausan muss ihr Studium abbrechen, als ihre harmlosen Handygespräche mit einem jungen Mann auffliegen, sie wird zudem von ihrem Bruder grausam bestraft. Hanna willigt mit ihren 15 Jahren in die Ehe mit einem Saudi ein. Die vermeintliche Unabhängigkeit als Zweitfrau, die den Ehemann oft wochenlang nicht sieht, entpuppt sich als nicht minder vertrackt. Frei ist keines der Mädchen. Auch Freundin Malika nicht, die strenggläubig ist, aber im Laufe der Zeit kritischer und wachsamer wird und versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.
Kontrastreiche Facetten des jemenitischen Lebens
Für jugendliche Leser ist der Sprung vom europäischen in den muslimisch-arabischen Kulturkreis ein riesiger. Autorin Jasmin Adam lässt diesen über die Verknüpfung der unterschiedlichen Lebenswege der fünf jungen Frauen lebendig werden. Sie lüftet als Kennerin der arabischen Welt – hat sie doch mit Mann und vier Kindern über zehn Jahre lang im Nahen Osten in der Entwicklungshilfe gearbeitet – die Gesichtsschleier der Mädchen und gibt Einblicke in individuelle Gedanken und Gefühle. Sie verhandelt Themen wie Mentalität, Geschlechterverhältnisse, Konflikte, Gewalt, Armut, Kinderreichtum, Tradition und Aufbruch. Weder bedient sie Klischees, noch führt sie Typen vor. Die handlungsorientierte Gestaltung des Stoffes zeigt Charaktere, die sich entwickeln, und viele kontrastreiche Facetten des jemenitischen Lebens.
Klug deutet die Autorin manche Szene nur an und erzählt nicht alles aus, was junge Leser überfordern könnte. Eine komplexe Erzählung, die nachvollziehen lässt, wie schwierig es für die Menschen insgesamt ist, an sehr alten Traditionen zu rühren.