Schülerinnen und Schüler einer 3. Klasse mit ihrer Lehrerin im Klassenraum beim Gruppenfoto © Privat

4. OHRENBÄR-Schreibwettbewerb 2010 - "Gemeiner Farbenklau" (1. Platz)

Von der Klasse 3a der Johann-Peter-Hebel-Schule, Berlin

Es war einmal ein Mädchen, das hatte den zauberhaften Namen Fé. Fés Vater war oft auf Reisen, aber wenn er da war, dann gingen sie zusammen ins Museum. Sie hatten ein Lieblingsbild, das eine wunderschöne Landschaft mit roten Laubbäumen zeigte.
An einem regnerischen Samstag, als Fés Vater wieder einmal verreist war, ging das Mädchen alleine ins Museum und setzte sich vor das farbenfrohe Bild. Lange schaute es das Bild an, bis es einen Fehler bemerkte. "Den Blättern an den Bäumen fehlt doch die rote Farbe!", entfuhr es Fé. Sie ging näher an das Bild heran und als sie noch genauer hinsah, erkannte sie, dass die Farbe Rot im gesamten Bild durch ein fades Grau ersetzt worden war. Wer hatte das nur getan? Während sie noch vor sich hingrübelte, kamen spinnenartige Finger aus dem Bild heraus. Diesen folgten lilafarbene Ärmel mit Sternen und Monden darauf. Plötzlich wurde Fé von diesen Händen gepackt und in das Bild hineingezogen. Sie öffnete die Augen und sah sich um. Sie saß mitten auf einer blauen Wiese und lehnte an einem grünen Stein.
"Oh je, wie bin ich bloß hierher geraten!", jammerte Fé. Sie blickte sich erneut um und bemerkte eine zwergenhafte Gestalt, die auf einem Acker in der Nähe stand und sich die Haare raufte. Kurz entschlossen ging sie auf den kleinen Kerl zu, der graue, wild abstehende Haare hatte und einen grauen Kittel trug. Eine krumme lange Nase ragte aus seinem Gesicht.
Sie fragte ihn: "Warum bist du denn so verzweifelt?"
Der Zwerg blickte auf: "Ach, ich habe ein riesiges Problem. Ich erkenne einfach nicht, welche Früchte schon reif sind. Ich wollte alle roten Beeren und Früchte ernten, doch es ist alles so grau."
"Oh je, das ist natürlich ein Problem!", stellte Fé fest. "Aber wo bin ich eigentlich?"
Der Zwerg, der Heini hieß, wusste auf Fés Frage keine Antwort, lud sie aber ein, ihn in sein Dorf zu begleiten. Sie folgten einem steinernen Weg und erreichten bald ein kleines Dorf. Die Häuser hatten die Form von großen Pilzen und jeder Pilz hatte eine andersfarbige Tür. Doch, oh weh, plötzlich legte sich ein Schleier über das Dörfchen und eine grüne und eine blaue Tür verblassten zu einem unscheinbaren Grau. Gerade rannten drei Zwerge auf eine Tür zu und versuchten unter wildem Fluchen gleichzeitig hindurch zu gelangen. Am Ende blieben sie einfach im Türrahmen stecken.
"Das ist ein großes Chaos, weil die Zwerge nicht mehr wissen, welche der Türen zu ihrem Zuhause führt", stöhnte der Zwerg namens Heini, den Fé zuerst getroffen hatte.
"Ach, ich verstehe! Ihr Zwerge habt eure Haustüren der Farbe eurer Haare angepasst!", rief Fé aus. Der Zwerg nickte.
Einige Zeit später saßen die Zwerge des Dorfes mit Fé beisammen und erzählten ihr, dass ein böser Zauberer seit kurzem in ihrem Landstrich verweilte und beschlossen hatte, das farbenfrohste Schloss aller Zeiten auf einem Hügel zu errichten.
"Er klaut uns einfach eine Farbe nach der anderen!", schniefte ein besonders kleiner Zwerg mit inzwischen nur noch grauen Haaren.
"Oh, nein", schrien plötzlich alle auf. Als sie zum Himmel blickten, konnten sie mit ansehen, wie das wärmende Gelb der Sonne zu einem trüben Grau verblasste. Fé und die Zwerge verspürten eine mächtige Traurigkeit über das Land hereinziehen und gleichzeitig schien das Schloss auf dem Hügel an Größe und Farbenpracht zu gewinnen. Plötzlich sprang Fé auf und schrie erbost: "Dieser Zauberer ist sehr gemein! Er kann euch nicht die Farben klauen, nur weil sein Palast noch prachtvoller werden soll. Das dürft ihr euch nicht gefallen lassen!"
Die Zwerge blickten verwundert auf und fragten dann wild durcheinander: "Ja, was sollen wir denn tun?"
"Ich gehe jetzt zu diesem Zauberer und hole euch die Farben zurück!", verkündete Fé.
"Ich komme mit dir", erklärte Heini mutig und die beiden machten sich mit den besten Wünschen und vielen guten Ratschlägen auf den Weg zum Schloss. Unterwegs kamen Fé erste Zweifel. Wie sollte sie die Farben zurückfordern? Sicherlich war es ein mächtiger Zauberer. Aber so schnell ließ sie sich nicht ins Bockshorn jagen, ihr war bisher in jeder brenzligen Situation etwas eingefallen. Schließlich erreichten sie ein rotgrün gestreiftes, mächtiges Schlosstor und Fé klopfte.
"Ich habe dich erwartet!", wurde Fé von einem hageren Mann begrüßt, der ein langes lilafarbenes Gewand trug. Er führte sie in den Thronsaal. Als der Zauberer seine Hände aus den Taschen nahm, fiel ein kleiner Gegenstand zu Boden. Unbemerkt hob der Zwerg den magisch funkelnden Stein auf und ließ ihn in seine Tasche gleiten. Heini suchte Fés Blick, doch sie starrte wie gebannt auf die lilafarbenen Umhangärmel mit den Monden und Sternen.
"Darf ich mich vorstellen?", fragte der Zauberer selbstgefällig.
"Mein Name ist Magnus Farbian. Ich bin ein berühmter Zauberer und erbaue hier das schönste und farbenfrohste Schloss aller Welten."
Entrüstet stemmte Fé ihre Hände in die Hüften. "Aber du kannst den Zwergen doch nicht all ihre Farben wegnehmen, nur weil du ein buntes Schloss haben willst. Hast du dir die Welt da draußen angesehen, wie farblos und trist sie durch dich geworden ist?"
"Das ist mir doch egal!", erwiderte Magnus Farbian ungerührt.
Heini hatte Fé den magischen Stein unauffällig in die Hand gedrückt, während der Zauberer weiter von seinem Schloss schwärmte. "Im Übrigen, meine Liebe, eine Farbe fehlt mir noch in meinem Sortiment und ich bin froh, dass du sie mir freiwillig bringst. Deine Augenfarbe hat mich schon im Museum fasziniert und gehört als letzte in meinen Zauberstein." Doch seine Selbstsicherheit schwand, als er dem Mädchen in die Augen blickte. Denn Fé strahlte ihn siegessicher an, hob ihre Hand und hielt ihm seinen Zauberstein unter die Nase: "Deine Macht endet hier und jetzt."
Fé hielt den Stein in die Höhe und dieser begann zu pulsieren. Der Boden bebte, die Wände ächzten und begannen einzustürzen, während sich die Farben ablösten und langsam als bunte Staubwolke in den Himmel stiegen. Als sich ihre Sicht wieder klärte, saßen Fé und Heini auf dem sandigen Boden, auf dem einst das Schloss gestanden hatte. Von Magnus Farbian fehlte jede Spur. Fé hatte es tatsächlich geschafft und die Zwerge waren ihr für ihren Heldenmut außerordentlich dankbar.
Nun saß sie wieder an den grünen Stein gelehnt und überlegte, wie sie in ihre Welt zurückkehren könnte und plötzlich wusste sie die Lösung. Sie blickte in das Wasser des kleinen Baches, unweit der Stelle, an der sie in diese Welt gekommen war, und sah dort den Raum des Museums, in dem das Gemälde hing. Sie sprang ohne weiter darüber nachzudenken hinein.
Fé fand sich im Museum vor ihrem Lieblingsbild wieder und stellte zufrieden fest, dass in dem Gemälde keine einzige Farbe fehlte.

Die Lehrerin zur Entstehung der Geschichte

"Die Planungs- und Schreibphase war sehr zeitaufwändig und dauerte fast vier Wochen. Doch die entspannte Arbeitsatmosphäre, die Begeisterung der Schüler und ihr Ideenreichtum waren alle Mühen wert. Dieses Projekt hat uns als Klasse näher zusammengebracht, weil wir etwas Hervorragendes geschafft haben: Wir haben gemeinsam eine wunderbare Geschichte geschrieben und als krönenden Abschluss sogar den ersten Preis als Belohnung erlangt. Die Schreibfreude ist bei den Schülern geweckt und in einer Schreibwerkstatt, die zweimal pro Woche stattfindet, sind die Kinder schon wieder eifrig dabei, neue Geschichten zu verfassen."
(Auszug aus dem Brief der Lehrerin Frau Sington Rosdal)

Begründung der Jury

Die Klasse 3a hat sich einen ausgefallenen Spielort für ihre Geschichte überlegt: In einem Museum lässt sie ihre Heldin Fé durch ein Bild in eine fantastische Zwergenwelt eintauchen. War diese zuvor leuchtend bunt, so sind nun alle Farben verschwunden – und sogar Fés Augenfarbe soll noch gestohlen werden! Hinter diesem gruseligen Rätsel steckt ein böser Zauberer, der gierig das Schönste und Bunteste haben will. Gut und Böse kämpfen glaubwürdig gegeneinander, Mut steht gegen Gier, Klugheit gegen Verblendung. Eine spannende Geschichte mit originellen Figuren, sehr gut durchgehaltenen Motiven und lebendigen Dialogen, deren Handlungsfäden am Ende überzeugend aufgelöst werden.