OHRENBÄR-Schreibwettbewerb 2018: 3. Platz für die Schreibwerkstatt der Fichtelgebirge-Grundschule, Berlin (Quelle: privat)
Bild: Privat

- "Lola zieht um" (3. Platz)

"Müssen wir wirklich umziehen?"

"Ach, Lola, jetzt mach es doch nicht schwerer, als es schon ist. Wir sehen uns doch trotzdem noch!'"

"Ja, aber nur in den Ferien und zu Weihnachten! Könnt ihr euch nicht einfach wieder vertragen?"

"Darüber haben wir doch schon so oft gesprochen, es geht leider nicht, Mama und ich streiten uns nur noch, aber wir haben dich beide genauso lieb wie vorher. Mama hat nun mal diesen neuen Job gefunden, deshalb ist es das Beste, dass du Mama nach Berlin begleitest."

Lola sitzt in ihrem leeren neuen Zimmer in Berlin und denkt an das letzte Gespräch mit ihrem Papa gestern Abend. Mama und Papa haben sich getrennt und sie und Mama sind mit dem Auto von Bayern nach Berlin gefahren, wo Lola in Zukunft mit Mama wohnen wird. Die Wohnung ist winzig, findet Lola. Und dann wohnen sie auch noch in einem grauen Hochhaus im 8.Stock. Alles grau in grau, keine Kühe, keine Wiesen nur Häuser und Autos.

Am Abend bringt Mama sie ins Bett. "Jetzt schlaf ganz schnell ein, morgen ist doch dein erster Schultag an der Meeresgrund-Schule! Schlaf gut, mein Schatz und träum was Schönes!" Mama knipst das Licht aus. Erschöpft von der Fahrt schläft Lola traurig ein.

Am nächsten Morgen wird es hektisch. Lola und Mama müssen in der kleinen Küche auf Umzugskisten sitzend frühstücken.

"So, beeil dich jetzt, Lola! Wir müssen gleich los, damit du deinen Bus nicht verpasst!"

Am Abend hatte Mama Lola genau erklärt, wo sie aussteigen muss. Lola will nicht, dass ihre Mutter sie begleitet.

"Ist doch peinlich, ich bin doch schon 10 Jahre alt!", hatte Lola Mama am Abend gesagt. "Der Bus hält doch fast genau vor meiner Schule! Ich lauf dann einfach den anderen Kindern nach!"

Mama bringt Lola zum Bus und beide winken sich zum Abschied. Im Bus holt Lola ihr Fotobuch heraus, ein Abschiedsgeschenk vom Papa. Sie blättert durch die Seiten, viele schöne Fotos von Papa und ihr. Unter Tränen erinnert sie sich an die schönen Fahrradtouren mit Papa und sieht sich Fotos aus ihrem Urlaub in Spanien und Italien an.

"Da hatten Mama und Papa sich noch lieb", seufzt Lola leise vor sich hin. Lola ist so vertieft in ihr Fotoalbum, dass sie doch glatt ihre Station verpasst. Plötzlich hört sie: "Endstation, bitte alle aussteigen!" Alle Leute im Bus steigen aus, Lola sitzt wie versteinert da.

"Mensch Kleene, jetzt steig doch endlich aus, ick will Pause machen", ruft der Busfahrer wütend und Lola springt auf und aus dem Bus. Hinter ihr schließen sich die Türen. Der Bus fährt weg.

Da steht Lola, sie weiß nicht, wo sie ist, als ihr jemand auf die Schulter tippt. "Moj, onko kaikki hyvim? Tarvitsetko apia?"

Lola dreht sich um und sieht in das lächelnde Gesicht eines kleinen Mädchens. Sie hat blonde Zöpfe und viele Sommersprossen im Gesicht. "Du sprichst wohl kein finnisch?"

"Nein, tut mir leid, ich kann nur bayerisch!"

Beide lachen.

"Hallo, ich bin Sisko und komme aus Finnland Und wer bist du?"

"Ich bin Lola und komme aus Bayern. Meine Eltern haben sich getrennt und ich bin mit Mama nach Berlin umgezogen. Heute ist eigentlich mein erster Schultag, doch ich habe mich verfahren. Kennst du die Meeresgrund-Schule, da muss ich jetzt nämlich hin."

"Ja, die kenne ich, auf die Schule werde ich ab Montag, auch gehen. Meine Eltern sind auch getrennt und ich bin gerade zu meinem Papa nach Berlin gezogen. Ich kann dich begleiten, wenn du willst." Lola ist erleichtert. Auf ihrem Rückweg fahren die beiden Mädchen mit dem Bus durch viele Berliner Bezirke und Sisko erzählt Lola alles was sie darüber weiß. Sie fahren durch Mitte, Charlottenburg, Tiergarten, Neukölln, Treptow und Kreuzberg. Und immer wieder steigen Menschen ein und aus, die in Sprachen sprechen, die Lola noch nie gehört hat.

"Spricht hier denn gar keiner deutsch?"

"Doch natürlich, aber in Berlin leben viele Menschen aus der ganzen Welt. Deshalb wirst du hier viele Sprachen hören: Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Türkisch, Arabisch und, naja, ich spreche neben Deutsch auch Finnisch. Wir leben hier alle zusammen, jeder darf so sein, wie er ist. Das ist das Tolle an Berlin."

Sie sind schon eine Weile unterwegs, als Lola plötzlich dringend auf die Toilette muss. "Ich kenne eine ganz besondere Toilette", zwinkert Sisko Lola zu. Die beiden steigen aus und laufen direkt auf eine öffentliche Toilette zu. Lola geht als Erste rein und stürmt in die Kabine. Als sie fertig ist, fragt sie: "Wieso ist das hier eine besondere Toilette? Ist doch wie jede andere!"

"Nicht ganz, hier kann man sich in ein ganz tolles Land teleportieren lassen, das Land heißt Kanadotta. Dort hast du jede Menge Spaß und kannst so viele Süßigkeiten essen, wie du willst. Und dort sind lauter Kinder, deren Eltern sich getrennt haben."

"Und wie kommen wir da hin?"

"Wir müssen beide diese Seife berühren."

Lola zögert kurz, berührt dann aber doch die Seife, die Sisko ihr entgegenstreckt und mit einem "Wusch" zieht es die beiden nach Kanadotta. Lola kann ihren Augen nicht trauen, Sisko hat nicht übertrieben, hier sind wirklich viele Kinder, alle sprechen verschiedene Sprachen, aber irgendwie kann Lola sie plötzlich alle verstehen. Die Bäume sind aus Gummibärchen, überall gibt es Schokobrunnen, die Häuser sind aus Keksen und es gibt Trampoline aus Waffeln.

Lola und Sisko spielen und essen so viele Süßigkeiten, bis ihnen fast der Bauch platzt. Als es Zeit wird zu gehen, zieht Sisko Lola in eine Achterbahn.

"Mit der kommen wir wieder nach Berlin", ruft Sisko. Es geht rasant bergauf und bergab, als Sisko plötzlich an einer Notbremse zieht und mit einem erneuten "Wusch" stehen die beiden plötzlich mitten vor der Meeresgrund-Schule.

Und, oh Schreck, da steht Mama, direkt vor der Schule. Lola läuft ihr entgegen. "Wo warst du denn, Lola? Ich habe mir solche Sorgen gemacht, die Schule hat schon angerufen, dass du nicht da warst!"

Lola druckst herum. "Naja, ich habe mich verfahren, aber Sisko hat mich zur Schule gebracht. Leider hat das ziemlich lange gedauert. Sie ist meine neue Freundin und sie geht ab Montag auch auf die Meeresgrund-Schule."

"Machen Sie sich keine Sorgen", sagt Sisko. "Am Montag werde ich Lola begleiten, dann kann nichts schiefgehen!"

Zuhause angekommen verabschieden sich die beiden neuen Freundinnen, denn zu Lolas Glück wohnt Sisko auch noch gleich um die Ecke.

Am Abend erzählt Lola Mama was sie alles von Berlin gesehen hat, sie redet so lange, bis es Zeit wird, ins Bett zu gehen.

"Gute Nacht, mein Schatz, schlaf gut!" Mama drückt Lola einen Kuss auf die Stirn.

"Buenas noches, Kali Nichta, Buona Notte, Bonne Nuit, Iyi Geceler, Good Night und Hyvää Yöta."

Mama guckt ganz erstaunt.

"Das heißt Gute Nacht auf ganz vielen Sprachen der Welt!"

"Und wo hast du das gelernt?"

Lola grinst nur. "Na, ich leb doch jetzt in Berlin!"

Begründung der Jury

Es ist ein trauriger Grund, aus dem Lola mit ihrer Mutter von Bayern nach Berlin zieht: Ihre Eltern haben sich getrennt. Alles ist fremd. Auf dem Weg in die neue Schule trifft sie das finnische Mädchen Sisko, mit dem sie ins imaginäre Land Kanadotta reist. Verschiedenste Sprachen begegnen ihnen, jede Menge Spaß und Überraschungen. So kommt es, dass Lola an diesem Abend ihrer Mutter in vielen Sprachen "Gute Nacht" sagen kann. Als die sich wundert, grinst Lola nur: "Na, ich leb‘ doch jetzt in Berlin!"
Schöner kann man das Ankommen in der Fremde kaum beschreiben, findet die Jury: Ankommen heißt, eine gemeinsame Sprache zu haben – die der Freundschaft. Das haben die Kinder der Schreibwerkstatt eindrucksvoll umgesetzt. Mit Lola entdecken wir das Fantastische im Alltäglichen, ein anspruchsvolles Thema, das in mehreren Erzählsträngen entwickelt wird, zwei starke Hauptfiguren, die so empfindsam wie abenteuerlustig unterwegs sind in ihrer eigenen Welt.