OHRENBÄR-Schreibwettbewerb 2018: 1. Platz für Wind-Klasse JÜL 1-3 der Werbellinsee-Grundschule, Berlin (Quelle: privat)
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- "Tierisch verrechnet" (1. Platz)

Henri kann nicht so gut rechnen. Darum denkt er, er ist groß. Dabei sind 10 + 10 = 20 und 20 Zentimeter sind eigentlich ganz schön klein für ein Erdmännchen.

Als Henri ein Jahr alt war, wurde seine Mutter in einen anderen Zoo gebracht. Mit einem Flugzeug. Darum muss das weit weg sein. Henri denkt, dass sie vielleicht zurück in die Heimat gebracht wurde und die Heimat von Erdmännchen ist Südafrika. Henri rechnet aus, dass er eine Stunde und 42 Minuten bis Südafrika brauchen wird.

'Ich gucke mal in meinem Gehege nach, vielleicht finde ich ein Loch', denkt er. Und er findet eines. Das kommt ihm sehr bekannt vor. Vielleicht ist er dort zur Welt gekommen?! Hier ist der beste Anfang für seine Reise in die Heimat.

Henri verschließt die Ohren, damit kein Sand hineinkommt und buddelt los. Genau eine Stunde und 42 Minuten. Dann gräbt er sich an die Oberfläche und denkt: 'Komisch, Südafrika sieht genauso aus wie Berlin. Es gibt den gleichen Fernsehturm.'

Ob er eingeschlafen ist und das träumt? Doch plötzlich hupt eine Straßenbahn. Henri erschreckt sich so, dass er 20 Zentimeter hochspringt, so hoch, wie er groß ist. Da merkt er, dass er nicht träumt. Auf der gelben Straßenbahn steht: Berliner Straßenbahn. Gibt es die etwa auch in Südafrika? Natürlich nicht. Das weiß auch Henri. Er denkt sich, 'da habe ich mich vielleicht verrechnet.'

Er rechnet neu und kommt auf 15 Minuten und 30 Sekunden. Er buddelt weiter. Nach 15 Minuten und 30 Sekunden schaut er oben aus der Erde raus. Immer noch ist der Fernsehturm zu sehen.

Also denkt sich Henri: 'Dann klettere ich eben da hoch und guck mal, wo ich lang muss.'

Von oben sieht Berlin wie eine Spielzeugstadt aus. Dafür sieht das Flugzeug über ihm viel größer aus als sonst.

"Das kann aber schnell buddeln", sagt Henri zu dem Jungen neben sich.

Der Junge muss lachen. "Das ist doch ein Flugzeug und fliegt."

'Komischer Vogel, aber vielleicht bringt er mich schnell nach Südafrika', denkt Henri und fragt: "Fliegt der auch nach Südafrika?"

"Ein Flugzeug fliegt überall hin in der Welt", antwortet der Junge.

"Ach, gibt es noch mehr auf der Welt, als Berlin und Südafrika?"

"Ja, natürlich. Guck mal da hinten ist ein Flughafen. Da musst du hin, wenn du durch die Welt reisen willst."

Vom Fernsehturm aus buddelt Henri wieder los. Als er nach einer Stunde und 15 Minuten guckt, wo er ist, ist der Flughafen viel kleiner geworden. Nur noch so groß wie eine Erbse. Henri ist völlig verwirrt. Er buddelt und rechnet und buddelt und rechnet. Als er das nächste Mal aus der Erde schaut, sind viele Bäume um ihn herum. Und da trifft er einen Fuchs.

"Wer bist du denn?", fragt Henri erschrocken.

"Ich bin Reik", sagt der Fuchs. "Wohin geht es denn?"

"Nach Südafrika", sagt das Erdmännchen.

"Oh", wundert sich der Fuchs. "Da lebt meine Familie. Ich komm mit."

"Ich bin doch nicht doof", sagt Henri. "Es gibt überhaupt keine Füchse in Südafrika."

"Hast du noch nie von Wüstenfüchsen gehört?", fragt der Fuchs streng.

Henri schüttelt den Kopf. Aber er findet, wenn der Fuchs auch dahin will, wo er hinwill, können sie ja zusammen reisen.

Gemeinsam ist der Weg zum Flughafen plötzlich ganz leicht zu finden. Nur einmal geradewegs um die Ecke. Die beiden gehen einfach durch die Sicherheitskontrolle, denn Ausweise haben sie ja sowieso nicht, die sie zeigen können.

Die Welt ist ganz schön bunt von oben, findet Henri, als er aus dem Flugzeug guckt. Irgendwie ist etwas schiefgelaufen, stellt er nach der Landung fest. Denn als sie aus dem Flugzeug aussteigen, sagt der Fuchs aufgeregt: "So, das ist Paris. Da ist der Eiffelturm. Und der steht hier immer."

Paris klingt wie Paris und nicht wie Südafrika. Henri überlegt, dass Paris bestimmt die Hauptstadt von Südafrika ist. Er guckt sich ein bisschen ängstlich um, weil er denkt, da kommen die Löwen von irgendwoher. Plötzlich schreit er fürchterlich laut auf, denn er sieht ein Tier mit riesengroßen schwarzen Ohren. "Was ist das denn für ein Monstertier?", ruft er erschrocken.

Der Fuchs Reik sagt: "Das ist doch Mickymaus vom Wunderhaus. Die wohnt hier in Paris in einem großen Schloss!"

Sie spazieren weiter. Auf einmal ertönt ein lauter Knall. Und dann noch viel mehr Knalle und alles wird bunt am Himmel: ein Feuerwerk.

Reik sagt: "Das kommt aus Richtung Tierpark."

"Schau mal", antwortet Henri, der ja lesen kann. Auch Französisch natürlich. "Da auf dem Plakat steht: Heute große Neueröffnung vom Erdmännchengehege."

"Na los", sagt Reik, "du willst doch deine Familie finden."

Die beiden gehen in den Zoo. Henri wundert sich, dass es auch in der Hauptstadt von Südafrika einen Zoo gibt. Er dachte ja, dass die Tiere hier frei herumlaufen.

"Jetzt frag nicht so viel! Ist doch egal wo wir sind, Hauptsache wir sind jetzt hier", sagt der Fuchs. Sie laufen schnell durch den Zoo.

"Oh schon wieder so eine Mickymaus", sagt Henri.

"Quatsch, das ist ein Elefant", sagt der Fuchs.

Endlich finden sie das Erdmännchengehege. Viele Familien mit Kindern stehen schon aufgeregt am Zaun. Henri und Reik schmuggeln sich durch die Menschenmenge. Und plötzlich sieht Henri seine Mama. Aufgeregt springt er wieder 20 Zentimeter hoch. Das kennt er ja schon von sich. "Los, buddeln", sagt er.

Und er und Reik buddeln sich durch die Erde in das Gehege. Einige Leute schreien auf: "Ein Fuchs im Erdmännchengehege!"

Auch die Erdmännchen erschrecken sich. Außer Henri natürlich. "Hey Leute, das ist mein Freund Reik", ruft er und dann sieht Henri seine Mutter. Er rennt ihr in die Arme und drückt sie ganz fest. Und sie ihn. Da taucht ein Tierfänger im Gehege auf und will den Fuchs einfangen. "Halt, das ist mein Freund!", sagt Henri.

Leider können Tierfänger Tiersprache nicht verstehen. Darum hört er auch nicht, dass Henri sagt, dass Reik ihn hierher gebracht hat. Aber die Erdmännchen, die haben das verstanden. Sofort stürzen sie sich auf den Fuchs und klettern an ihm hoch und umarmen ihn, so dass der Tierfänger sieht, dass Reik keine Gefahr ist für die Erdmännchen.

"Ist das nicht niedlich?", ruft er den Menschen vor dem Gehege zu. "Der kann ja ruhig da wohnen bleiben."

Reik findet die Idee gar nicht so schlecht. Ja, er hat das Gefühl, dass die Erdmännchen auch für ihn eine Familie sein könnten und fragt sie, ob er bei ihnen bleiben darf.

"Natürlich gehörst du ab jetzt zu unserer Familie", sagt Henris Mutter. "Du hast meinen Sohn ja hierhergebracht. Es stimmt wohl, was man über euch sagt: Schlau, wie der Fuchs oder woher wusstest du, dass wir hier sind?"

Reik hustet. "Ähm, äh, ich wusste es eigentlich gar nicht. Ich wollte einfach mal nach Paris und die Mickymaus treffen und den Eiffelturm sehen. Und alleine habe ich mich das nicht getraut."

Alle müssen lachen. So hat Henri tatsächlich seine Familie gefunden und Reik Paris und auch eine Familie und Henri auch Paris. Und die beiden haben sich gefunden. So ist das, wenn man durch die Welt reist, auch wenn man sich dabei manchmal ein bisschen verrechnet.

Begründung der Jury

Erdmännchen Henri ist kein großer Rechner, aber ein kleiner Weltenbummler. Auf der Suche nach seiner Mutter reist er von Berlin nach Südafrika. Ist die Heimat aller Erdmännchen nicht ein gutes Ziel, um fündig zu werden? Leider hat Henri sich bei der Routenplanung tierisch verrechnet. Er landet in Paris, an seiner Seite Fuchs Reik. Die beiden freunden sich an und erobern den Tierpark der französischen Hauptstadt. Kaum zu glauben, Henri und auch Reik finden hier ihr neues Zuhause.
Schon das Wortspiel im Titel ist Programm. Mit Witz und Verve erzählt die Wind-Klasse Henris ungewöhnliche Reisegeschichte. Rechnen und Geographie sind in der Welt der Erdmännchen nicht vorgesehen. Wohl aber der Drang, in Familie zu leben. Die Jury ist von den knackigen Dialogen, den lapidaren Kommentaren und lustigen Pointen begeistert. An keiner Stelle ist die Handlung vorhersehbar, die Figuren sind deutlich gezeichnet. Mit Tempo geht es vorwärts, Henris Perspektive wird durchgehalten und man bleibt auf Augenhöhe mit dem Erdmännchen. Schön auch das Resümee im Schlusssatz: "So kann es gehen, wenn man durch die Welt reist, auch wenn man sich dabei ein bisschen verrechnet." OHRENBÄR gratuliert!