Darren Mernagh mit Anorak auf einer grünen Wiese © Privat

5. OHRENBÄR-Schreibwettbewerb - "Der Zaubershop" (2. Platz)

Max’ Papa besitzt einen Zaubershop, den er von seinem Vater, also Max’ Großvater, geerbt hat. Max hat von seinem Papa schon sehr viele Sachen über das Zaubern gelernt. Die Wohnung der Familie ist durch eine Treppe mit dem Shop verbunden.
Eines Abends, als Max schlafen gehen wollte, hörte er von unten aus dem Zaubershop ein lautes Geräusch. Obwohl Max sich erschreckte, machte er sich auf den Weg. Unten angekommen schaute er sich um. Auf den ersten Blick konnte er nichts Auffälliges erkennen. Auf einmal fühlte er ein leichtes Schnüffeln an seiner Hand und sah zwei leuchtende Augen in dem alten Zauberzylinder seines Großvaters aufblitzen. Als er den Zylinder aufheben wollte, sprang ein kleiner Hase heraus und fragte:
"Hey, wer bist denn du?"
"Ich … heiße Max. Und du?"
"Klaus Hase oder Hase Klaus. Wie man will."
Verwirrt fragte Max: "Wieso kannst du sprechen?"
"Weil ich ein Zauberhase bin!"
"Okay, wieso habe ich dich noch nie hier vorher gesehen?"
"Weiß nicht. Ich lebe schon lange in diesem Zylinder. Eigentlich so lange ich denken kann. Ich habe im Laufe der Jahre, die ich als Zauberhase gearbeitet habe, Angst vor Publikum bekommen. Deshalb verstecke ich mich im Zylinder", flüstert Hase Klaus, so als ob er jetzt auch Angst hätte, gerade in diesem Moment.
Max dachte nach; er konnte den Hasen gut verstehen. Deshalb sagte er: "Ich weiß, was du meinst. Wenn ich in der Klasse laut vorlesen soll, habe ich auch immer schreckliche Angst und möchte mich am liebsten verstecken."
Klaus Hase sah ihn mit großen Augen an. "Ehrlich? Auch in einem Zylinder?"
"Nein, das geht nicht. Deshalb habe ich angefangen, mich in Gedanken an einen anderen Ort zu zaubern. Das klappt immer. Mein Lieblingsort ist ein Strand. Ich war mal mit meinen Eltern auf einer Insel im Mittelmeer, das war toll."
"Ich kenne keine Insel im Mittelmeer", maulte Hase Klaus.
"Aber du bist doch ein Zauberhase! Warum sollte es bei dir nicht genauso klappen, wie bei mir?", erwiderte Max. "Na gut, ich muss jetzt schlafen gehen. Aber morgen schaue ich wieder nach dir." Er drehte sich um, lief in sein Zimmer und legte sich ins Bett. Als ihm die Augen zufielen, hatte er ein Lächeln im Gesicht. Ihm war nämlich eine Idee gekommen, wie er seinen Zaubertrick gegen die Angst mit dem Hasen ausprobieren konnte. Zufrieden schlief er ein.
Am nächsten Morgen, Max’ Papa saß am Frühstückstisch und trank Kaffee, setzte sich Max zu ihm auf den Schoß und flüsterte: "Papa, ich brauche deine Hilfe wegen Opas altem Zylinder."
"Ach, was willst du mit dem alten Ding? Der ist abgewetzt und verstaubt. Ich benutze ihn deshalb nicht in meinen Shows."
"Ich würde gerne mal den Kaninchentrick mit ihm ausprobieren."
"Warum nicht. Und jetzt lass mich bitte in Ruhe meinen Kaffee trinken, Max." Damit setzte Papa sich an seinen Laptop, um sich im Internet die neue Werbung für den Zaubershop und die Nachmittagsshow anzusehen.
Es war Abend, als Max endlich Zeit fand, ungestört im Zaubershop den Zylinder aus der Ecke vorzuholen. Leise rief er: "Klaus Hase, bist du da?"
Schon tauchten im Zylinder die leuchtenden Augen auf. Ein Schnüffeln war auch zu vernehmen. "Hallo, Max! Ich dachte, du hast dein Versprechen vergessen."
"Ich konnte nicht eher kommen. Es waren so viele Leute im Zaubershop, da Papa im Internet eine neue Werbekampagne gestartet hat und eine Menge Leute sich am Nachmittag die Show ansehen wollen."
"Ist schon okay, ich verstehe das", erwiderte Klaus Hase noch leicht schmollend, aber doch froh, Max zu sehen.
"Also, ich habe da so eine Idee, wie du deine Angst überwinden und wieder als Zauberhase auftreten kannst. Jeden Nachmittag gibt mein Vater eine Show im Zaubershop. Ich würde gerne den Kaninchentrick mit dir zusammen im Hintergrund vorführen."
"Das geht nicht", erwiderte Hase Klaus panisch.
"Doch, ich zeige dir, wie. Wenn du im Zylinder bist und die Leute draußen hören kannst, schließt du die Augen und zählst bis 10. Dann stellst du dir einen Ort vor, an dem du gern gewesen bist und versuchst, deine ganze Konzentration auf diesen Ort zu lenken. Wenn du in Gedanken den Ort erreicht hast, holst du tief Luft und öffnest die Augen. Dann kommst du auf mein Kommando aus dem Zylinder. Das ist alles."
"Ich weiß nicht, aber ich werde es dir zuliebe probieren", sagte Hase Klaus zweifelnd.
Am nächsten Tag konnte Max kaum abwarten, dass die Schule aus war. Er rannte nach Hause, um rechtzeitig vor der Show im Zaubershop zu sein. Er sah, wie Papa die letzten Vorbereitungen traf. Unauffällig nahm er den alten Zylinder aus dem Regal. Langsam füllte sich der Zaubershop mit Zuschauern.
Max flüsterte: "Hase Klaus, bist du bereit? Bitte mach alles, wie wir es besprochen haben. In 15 Minuten werde ich dir das Kommando geben und du kommst aus deinem Versteck im Zylinder, okay?"
Nach einer Pause hörte man ein langes Schnüffeln und ein längeres "Jaaa!"
Als die Show begann, stellte sich Max in die hintere Ecke der Bühne. Das Publikum dachte, er wäre Assistent seines Vaters und schenkte ihm keine Beachtung. Dieser hatte ihn gar nicht wahrgenommen und war auf seinen Trick mit den schwingenden Reifen konzentriert. Als alle im Publikum den Atem anhielten, weil Papa es geschafft hatte, drei Reifen frei auf einem Fleck in der Luft schwingen zu lassen, ohne dass man eine Verbindung sah, rief Max: "Hokus Pokus Jumpikus – Bang!"
Papa und das Publikum erschraken so, dass alle Reifen mit einem Mal herunterfielen und davon rollten. Ansonsten passiert nichts.
Max rief noch einmal: "Hokus Pokus Jumpikus – Bang!"
Diesmal stieg eine rosa Wolke aus dem Zauberzylinder auf. Als Max rein greifen wollte, sprang Hase Klaus im hohen Bogen vor das verblüffte Publikum. Er hatte einen kleinen Zylinder auf dem Kopf und seinen Zaubererumhang um. Er verbeugte sich und begann aus seinem Umhang sagenhafte Seifenblasen in allen Farben und Formen zu zaubern. Dazu klang eine sehr schöne Melodie aus dem Zylinder. Max, Papa und das Publikum staunten mit offenen Mündern. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Hase Klaus strahlte und machte am Ende eine lange Verbeugung, bevor er wieder in seinen Zylinder hüpfte und verschwand.
Alle sagten, dass dies die beste Zaubershow gewesen sei, die sie je gesehen hätten. Jeder wollte am nächsten Tag gleich noch einmal kommen und alle Tickets waren nach einer Stunde verkauft.
Nachdem alle gegangen waren, kam Papa zu Max. "Eigentlich sollte ich böse auf dich sein, weil du meinen Trick gestört hast.
Aber", und er nahm seinen Sohn in den Arm, "ich habe gar nicht gewusst, dass du so ein guter Zauberer bist mit deinem Hasen." Papa zwinkerte noch einmal, dann ging er davon.
Max lief, um den Zauberzylinder zu holen, und rief: "Hase Klaus! Das war großartig. Ich wusste, dass du ein echter Zauberhase bist!"
Der Hase steckte seinen Kopf aus dem Zylinder: "Das habe ich dir zu verdanken. Ohne deine Idee hätte ich das nicht geschafft. Ich habe mich in eine meiner schönsten Seifenblasen geträumt! Das ist mein Lieblingsplatz, ich hätte ihn fast vergessen." Hase Klaus sah unendlich glücklich aus.
Glücklich war auch Max. Er nahm den Zylinder und sagte: "Gut, dann brauchst du dich nicht mehr zu verstecken und kannst mit deinem Zylinder bei mir im Zimmer wohnen."
Und damit verließen Max und Hase Klaus den Zaubershop. Sie hatten noch viel zu besprechen und zu planen – für die kommende Zaubershow.

Begründung der Jury

Darren erzählt uns eine Geschichte, die man mit ins Lebensgepäck nehmen möchte. Geschickt verwebt er eine spannende Handlungsebene mit einer klugen Sinnebene. Hase Klaus hält sich in einem alten Zylinder versteckt, er hat panische Angst vor Zaubershows und Publikum. Seine Angst spiegelt Max’ Lampenfieber, wenn er zum Beispiel vor der Klasse laut vorlesen muss. Aber Max kennt einen Trick, mit dem sich die beiden gemeinsam auf die Bühne wagen. Und es gelingt! Großer Beifall vom Publikum für Max und Hase Klaus. Großer Beifall auch von der Jury für Darrens Geschichte, die die Kraft der Fantasie hochleben lässt