Klasse 2c der Europaschule in Falkensee - Autoren der Siegergeschichte des OHRENBÄR-Schreibwettbewerbs 2016 (Quelle: privat)
Bild: privat

- "Eine neue Geschichte für die Klasse 2c" (1. Platz)

Es ist Dienstag. Paul hat Schulschluss und geht sauer nach Hause. Sonst ist er fröhlich, aber an diesem Tag hat ihm Frau Müller die Laune verdorben. Frau Müller ist Pauls Klassenlehrerin. Sie ist blond und schlank, hat immer bunte Sachen an und ist manchmal etwas zerstreut. Eigentlich mag Paul Frau Müller sehr gern, aber heute nicht.

Pauls Klasse 2c hatte bei einem Schreibwettbewerb mitmachen wollen. Die Kinder hatten eine wirklich gute Geschichte geschrieben, die viel Kraft gekostet hat. Viele Ideen wurden verarbeitet. Doch dann teilte Frau Müller den Kindern mit, dass sie sich vertan hatte und die Geschichte zu einem falschen Thema geschrieben wurde, nicht zum Thema Schule. Alle Kinder waren enttäuscht. Mit ihrer Geschichte hätten sie sicherlich gewonnen.

„Wir können doch eine andere Geschichte schreiben. Es ist zwar nicht mehr viel Zeit, aber wir könnten es schaffen“, schlug Frau Müller vor. Die Klasse stimmte zu, aber Paul ist nicht begeistert.

Auf einmal raschelt es im Gebüsch. Paul sieht hin, geht aber rasch weiter, denn hier stinkt es unerträglich. Plötzlich springt etwas aus dem Gebüsch, Paul erschrickt. Was ist das? Ein kleines grünes Wesen mit moosgrünen Haaren, brauner Fellhose und einem Hemd aus Blättern. Es müffelt fürchterlich. Als es Paul sieht, springt es vor und beißt ihn in die Wade.

„Aua, das tut weh, du … Stinker!“

„Ich stinke nicht. Ich dufte. Außerdem bin ich ein Kobold!“

„Das war nicht ok, was du gemacht hast. Soll ich das mal machen?“

„Tut mir Leid. Du hast mir Angst eingejagt.“ Als der Kobold sieht, wie traurig Paul kuckt, fragt er: „Warum so ein besorgtes Gesicht, junger Mann?“

Da erzählt Paul ihm die Geschichte.

„Ich könnte dir helfen. Nimm mich mit in die Schule. Wir spielen deiner Lehrerin ein paar Streiche, damit sie sieht, wie es ist, wenn nicht alles so läuft, wie es soll.“

Paul ist einverstanden und sie verabreden sich für morgen.

Am Mittwoch trifft Paul den Kobold auf seinem Schulweg. Er packt ihn in seine Tasche: „Stinky, wir müssen dich waschen. Den Geruch hält keiner aus.“

„Ich will so riechen!“

„Waschen macht Spaß.“

Aber Stinky mag kein Wasser: „Ich könnte den Geruch für eine Weile wegzaubern.“

„Du kannst zaubern?!“

Stinky zeigt es, indem er sich geruchslos zaubert. Paul ist begeistert. So gehen sie in die Schule.

Frau Müller kommt in den Klassenraum und begrüßt die Kinder. Als sie die Kreide nimmt, fängt Stinky an zu zaubern. Von der Tafel tropft Schleim. Die Kreide ist in Frau Müllers Hand zu Schleim geworden: „Igitt, was ist das?!“ Vor Schreck will sie sich setzen, doch als sie den Stuhl anfasst, wird dieser auch zu Schleim. Als sie den Tisch anfasst – Schleim! Sie rennt zum Direktor: „Alles, was ich anfasse, wird zu Schleim. Was soll ich tun?“

Der Direktor beruhigt sie: „Das klingt ja so, als ob Ihre Schüler zaubern könnten. Fassen Sie doch mal meinen Tisch an.“

Nichts passiert. Der Direktor schickt sie zurück und murmelt: „Frau Müller weiß ja gar nicht mehr, was sie tut …“

Im Klassenraum ist alles wieder normal. Die Kinder kichern, denn Paul hat ihnen alles verraten. Frau Müller beendet den Unterricht, obwohl es viel zu früh ist. Die Kinder heben Paul hoch und jubeln: „Das hast du toll gemacht!“ Auch der Kobold ist stolz auf seine Tat.

Nur Paul fühlt sich komisch, weil er seine Lehrerin so durcheinander gebracht hat.

„Das war ein toller Scherz. Morgen spielen wir Frau Müller einen zweiten Streich! Ich zaubere uns klein und unsichtbar. Wir verstecken uns in Frau Müllers Tasche, dann können wir mit zu ihr nach Hause und ihr dort einen Streich spielen“, schlägt Stinky vor.

Paul kann in der Nacht kaum schlafen.

Am Donnerstag geht er in die Schule. Auf dem Weg spricht er mit Stinky ab, was sie für einen Streich machen. Sie können sich lange nicht einigen, Paul will einen harmlosen, Stinky einen fiesen. Kurz vor der Schule einigen sie sich endlich. Gespannt wartet die Klasse 2c darauf, was heute passiert. Aber Paul teilt mit: „Stinky und ich spielen Frau Müller zu Hause einen Streich.“

„Ohne uns? Was denn für einen?“, fragen die Kinder enttäuscht.

„Stinky wird sich stinkig zaubern und versteckt sich an unterschiedlichen Orten.“

Die Kinder finden das lustig und freuen sich schon auf den Bericht. Nach der Schule schmuggeln sich Stinky und Paul in die Tasche von Frau Müller. In der Wohnung kriechen sie heraus, krabbeln unter die Couch, auf der Frau Müller sitzt, und Stinky zaubert sich noch stinkiger als sonst.

„Puh, stinkt das hier!“, sagt Frau Müller und kuckt unter die Couch.

Paul murmelt: „Los, lauf hinter die Blume.“

‚Ach, die Blume stinkt so‘, denkt Frau Müller und bringt sie auf den Balkon. Paul muss fast kichern. Jetzt findet er den Streich lustig und nicht fies.

Als Frau Müller zurückkommt, wundert sie sich: „Es stinkt ja immer noch. Was ist das nur?“ Ihre Nase führt sie ins Bad.

Stinky und Paul lachen sich schlapp. Für einen Moment kann Frau Müller sie hören: „Spinne ich? Jetzt höre ich auch noch Stimmen!“

Stinky verkriecht sich in der Socke am Boden. Frau Müller glaubt: „Ach, die Socke stinkt so.“ Sie bringt sie zur Waschmaschine und stellt sie an. Augenblicklich steht das Wasser Stinky bis zur Nase. Die Trommel fängt an, sich zu drehen, Stinky purzelt herum. Das macht Spaß, das hätte er nie gedacht. Aber nach einer Weile geht sein Geruch weg und er duftet nach Rosenblättern, denn das ist der Duft von dem Waschmittel. Stinky findet das furchtbar. Er versucht, seinen alten Duft zu zaubern, aber das Waschmittel ist zu stark. Stinky ist wütend. Aus seinen Ohren steigt giftgrüner Rauch! Das Wasser blubbert heftiger, Blasen kommen aus der Maschine, Frau Müller versucht, den Stecker zu ziehen, da gibt es einen Knall. Die Maschine fliegt in die Luft. Frau Müller ist von oben bis unten nass. Auf ihrem Kopf sitzt der wütende Stinky. Paul kullert vor Lachen durch das Badezimmer.

Obwohl der Gestank weg ist, fängt Frau Müller an zu weinen: „Ich habe seit Wochen so schreckliche Rückenschmerzen. Und jetzt passieren auch noch so schlimme Dinge.“

Da bekommt Paul ein entsetzlich schlechtes Gewissen, er wusste gar nichts von den Schmerzen. Ist Frau Müller deswegen so zerstreut? Paul fordert Stinky auf: „Zauber mich groß und sichtbar, ich muss das alles aufklären.“

„Du bist ja irre! Willst du Ärger bekommen?“

„Nein, aber ich kann nicht nur an mich denken!“

Stinky erkennt, dass Paul nicht davon abzubringen ist und zaubert ihn wieder normal.

„Huch … wie bist du hier reingekommen?“, wundert sich Frau Müller, als sie ihren Schüler sieht.

Da erzählt Paul die ganze Geschichte. Komischerweise schimpft die Lehrerin nicht. Sie freut sich sogar. Ob ihr der Kobold helfen kann?

„Du hast doch gesagt, dass er zaubern kann. Wo ist er eigentlich? Es stinkt gar nichts. Hier duftet es nach Rosen.“ Daraufhin zeigt sich Stinky. Frau Müller begrüßt den kleinen Kerl: „Du riechst doch phantastisch, Paul hat erzählt, du würdest stinken.“

Der Kobold erwidert verzückt: „So dufte ich immer.“ Paul staunt, Stinky ist plötzlich ein richtiger Gentleman: „Soll ich Ihnen Ihre Rückenschmerzen wegzaubern, liebe Frau?“

„Das wäre entzückend!“

Stinky zaubert nicht nur die Schmerzen weg, sondern auch die Wohnung in ihren alten Zustand zurück und eine Rose für Frau Müller herbei …

Am Freitag wartet die Klasse 2c auf den Bericht. Da kommt Frau Müller herein. Sie sieht erholt aus und ruft freudig: „Wir haben eine neue Geschichte! Die halbe kennt ihr schon, den Rest erzählen euch Stinky und Paul. Und dann schreiben wir sie auf.“

Gesagt, getan.

Begründung der Jury

Das ist Literatur! Die Klasse verarbeitet ein eigenes Erlebnis und findet mit dem frechen Kobold Stinky eine phantastische Figur, die das Erlebnis zum Erzählstoff werden lässt. Was ist passiert? Lehrerin Frau Müller hat ihre Klasse zum OHRENBÄR-Schreibwettbewerb angemeldet, aber sie zum falschen Thema schreiben lassen! Noch eine Geschichte muss her, findet die Klasse 2c und verdichtet ihr Thema mit sprühender Fantasie. Soll der Kobold der Lehrerin mit seinen Streichen doch mal zeigen, wie das ist, wenn nicht alles wie geplant läuft … Die Jury hat überzeugt, wie stringent und spannend die Klasse 2c erzählt und wie differenziert sie ihre Hauptfigur zeigt. Paul ist einverstanden, dass Frau Müller am eigenen Leib erfährt, wie sehr sie die Kinder enttäuscht hat. Aber ihn rührt das schlechte Gewissen, als der kecke Kobold über die Stränge schlägt. Paul stellt die Gerechtigkeit wieder her, so dass alle gestärkt aus diesem Erlebnis hervorgehen und niemand ausgegrenzt wird. Witzige Szenen, unerwartete Wendungen und das hohe sprachliche Niveau machen den Stoff zur tollen OHRENBÄR-Radiogeschichte! Einfach Klasse!